zuerst veröffentlicht am 18. Juni
Von MICHAEL BISCHOFF
Köln – Alfred Biolek (1934-2021) hat deutsche Fernsehgeschichte geschrieben. Mit seinem Namen sind große TV-Formate verknüpft wie „Kölner Treff“, „Bio’s Bahnhof“, „Boulevard Bio“ und die legendäre Kochsendung „Alfredissimo“.
Am 10. Juli wäre er 89 Jahre alt geworden. Biolek hätte dies wahrscheinlich wieder ganz leise gefeiert. Privat mit seinen besten Freunden und natürlich – bei einem guten Essen. Wir gratulieren auf diesem Wege einem großen TV-Star.
Biolek war ein Entertainer, der die Showtreppe liebte. Doch nie tanzend oder singend, immer nur leise und verschmitzt. Ein gelernter Jurist, gewiefter TV-Profi und sympathischer (Mit-)Mensch. Ich habe ihn oft getroffen – und bewegende Begegnungen erlebt.
Bios Bio
- Geboren 1934 als Sohn von Klosterschülerin sowie Laienschauspielerin Hedwig Lerch und Rechtsanwalt sowie zweiter Bürgermeister Joseph Biolek in Freistadt (der früheren Tschechoslowakei).
- Zwei ältere Brüder, römisch-katholisch erzogen, Messdiener.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Familie enteignet und vertrieben.
- Ab 1946 wächst Bio in Waiblingen bei Stuttgart auf.
- Er studiert Jura (1963 Zweites Juristisches Staatsexamen) und beginnt im Februar 1963 beim ZDF (Zweiten Deutschen Fernsehen) als Justitiar, wechselt schnell in die Redaktionen, arbeitet als Moderator und wird TV-Produzent.
damaligen Bürgermeister Klaus Wowereit
Foto: WDR/Fehlauer
Der TV-Produzent in der Uni Münster
Von seinen ersten Schritten als Produzent erzählt er später sehr gerne: Als ich ihn am 2. Februar 1981 als Student im Institut für Publizistik in Münster erlebe, schwärmt er noch immer: Wie er beispielsweise 1971 die britischen Komiker Monty Python nach München holte, um eine deutschsprachige Version von „Monty Pythons Fliegender Zirkus“ zu produzieren.
Das war Comedy pur und 1972 in Deutschland ein sehr mutiger Schritt, denn das freche “Klimbim” sollte die spießige TV-Welt erst ab 1973 aufmischen. Allerdings: Der urbritische Humor zündete in der bundesrepublikanischen öffentlich-rechtlichen Medienwelt (noch) nicht wirklich.
Übrigens auch 37 Jahren später nicht im Kölner Musical Dome: Als dort Biolek 2009 im Musical „Monty Pythons Spamalot“ in die Gastrolle des „Historikers“ schlüpft, kann er dem britischen Erfolgsstück am Rhein nicht zum großen Durchbruch verhelfen.
den damaligen Kanzler Gerhard Schröder
Foto: kremlin.ru
Erfolg mit Rudi Carrell
Doch zurück zu Bios TV-Anfängen: 1974 kommt der Durchbruch. Biolek produziert die Samstagabend-Show „Am Laufenden Band“ mit Rudi Carrell – und das Fernsehpublikum ist begeistert. Mit 51 fröhlichen Shows wird Carell zu einem der beliebtesten Fernsehunterhalter der 1970er Jahre.
Biolek hat sich damit „warm“ gelaufen und steigt am 25. Januar 1976 zusammen mit dem WDR-Journalist Dieter Thoma erstmals selber in die Bütt: Der „Kölner Treff“ wird (nach monatelanger Experimentierphase ohne Kameras im Kölner Kabarett „Senftöpfchen“) ebenfalls zum Talkshow-Hit.
Der Talk-Treff wird so erfolgreich, dass die Sendung sogar im Sommer auf Gastspielreise in die Region geschickt wird. Am 5./6. Juli 1980 begeistern Thoma und Biolek ihr Publikum dabei in der Gütersloher Stadthalle. Bei der Generalprobe erlebe ich Biolek das erste Mal live und staune.
Er wirkt locker, alles andere als aufgeregt und genießt die knisternde Atmosphäre. „Das hier ist natürlich aufregender als bei uns im Kölner Studio,“ erzählt er damals, „doch ich liebe diese Herausforderungen.“
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Booking.comGrimme-Preis für “Bios Bahnhof”
Seine größte Herausforderung ist längst da: Seit 1978 heißt sie „Bios Bahnhof“ und verwandelt das alte Depot der „Köln-Frechen-Benzelsrather Eisenbahn“ in die wichtigste deutsche TV-Talent- und Unterhaltungsschmiede. Bio überrascht sein verblüfftes Publikum mit Sängerinnen wie Helen Schneider, Kate Bush, Sting, der Band „The Police“ oder Liedermacher Hermann van Veen.
Die Show bricht die Grenzen zwischen E- und U-Musik auf und wird sogar mit dem „Grimme-Preis“ geehrt.
Biolek setzt einige Talkshows drauf und macht sich selber zum Markenartikel: Immer souverän, sachlich, begeistert. Nie bösartig bohrend oder nach Schlagzeilen gierend. Auffallend ist und bleibt dabei sein stetiges Räuspern („Äh“). Seine Gäste nehmen es gelassen und stehen ihm bereitwillig Rede und Antwort. Von Kanzlern bis Pop-Weltstars.
Henriette Reker und anderen Stadt-Persönlichkeiten
Foto: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
459 Mal “Alfredissimo”
Bio aber ist und bleibt Bio. Er legt 1994 mit „Alfredissimo“ noch eine Kochsendung mit Niveau nach. Seine Gäste sind ebenfalls alle Promis, die richtig mithelfen müssen und denen er immer den passenden Wein einschenkt. Es werden 459 Folgen mit Stars wie Udo Jürgens, Wolfgang Niedecken, Anke Engelke und Nina Hoss.
„Gott sei Dank wurde die Menge der von uns verwendeten Geräte, Bestecke, Töpfe und Teller anschließend immer von meinem Team nebenan gespült,“ erzählt er mir bei einem Besuch in seinem TV-Kochstudio wieder einmal schmunzelnd. „Diese Küchenarbeit mag ich nämlich weniger.“ Als wir beide schließlich für ein Foto „probekochen“, ist der entscheidende, mutmaßlich duftende Topf – leer
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Öffentliches Outing
Doch Biolek steht nicht nur für große Fernsehunterhaltung. Der Kölner beteiligt sich über sein Unternehmen Pro GmbH am „Alter Wartesaal“, engagiert sich für das Management von Stars wie Dirk Bach und Ralph Morgenstern. Er wird 1990 Honorarprofessor an der Kunsthochschule für Medien (also zehn Jahre nach seinem Uni-„Auftritt“ bei uns in Münster) und gründet 2005 die „Alfred Biolek Stiftung – Hilfe für Afrika“.
Alfred Biolek steht für noch mehr: Als er im Dezember 1991 durch den Filmemacher Rosa von Praunheim in der RTL-Sendung „Explosiv – der heiße Stuhl“ öffentlich geoutet wird, ist dies zunächst für Bio ein Schock. Doch auch in der Kölner „Bildzeitung“ erzählt er damals ungefragt (!) von seinem Schwulsein. Er geht damit in die Offensive – und dabei bleibt’s.
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Booking.comBiolek spricht vom Tod
Sein Privatleben hält er immer privat. In vielen unserer gemeinsamen Gespräche zieht er dabei eine strenge Linie. Bis hierher, und nicht weiter! Als ich ihn irgendwann vor über 20 Jahren beim Einkaufen im Eigelstein treffe, erzählt er lachend, was es am Abend geben sollte. Doch über seine prominenten Gäste am Essenstisch schweigt er wie ein Gentleman. In einem Kochbuch verrät er erst viele Jahre später, was er u.a. für seine Freundin Tina Turner gebrutzelt hatte.
Was verriet er mir sonst noch? Übers Glück: “Das gibt’s für mich nur in Momenten”. Seine Lieblingsmusik: “Morgens Bach, später Balladen, Jazz”. Urlaub: “In einem abgeschiedenen Haus auf einer griechischen Insel. Mit Steinstrand – ich mag keinen Sand”. Sein Motto: “Leben und leben lassen”.
Bio schweigt auch gerne. So erfährt die Öffentlichkeit nur am Rande, dass er zwei Partner adoptiert. Der zweite ist 2014 sein langjähriger Freund Scott.
Foto: Michael Bischoff
Das letzte Mal erlebe ich Biolek kurz vor seinem 86. Geburtstag im Juli 2020 im Kölner Museum für Angewandte Kunst. Sein Rücken ist gebeugt, seine Augen blinzeln hellwach, doch seine legendäre Stimme ist sehr leise geworden, zittrig und brüchig. In aller Ruhe erklärt er, warum er zwei sehr persönliche Schmuckstücke (eine Brosche und ein Herrenring) dem Hause vermache: „Der Geburtstag ist ja nicht mehr der Jüngste. Da kommt der Tag, wo alles zu Ende ist, immer näher.“
Am 23. Juli 2021 stirbt Bio in seiner Wohnung. Er wird 87 Jahre alt.
Seine letzte Ruhestätte ist auf Melaten. Bios Urne ruht in der Grabstätte seines Freundes Leo Fritz Gruber, dem legendären Fotografen und Gründers der Messe „Photokina“.
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