TRUE CRIME – Wie Giftmörderin Irmgard Swinka der Todesstrafe entkommt

Von STEPHANIE KAYSER

Köln – Die letzte Todesstrafe in Deutschland wird am 21. April 1949 in Köln verhängt. Serienmörderin Irmgard Swinka (damals 37) wird VIERMAL zum Tod verurteilt. Sie hat fünf ältere Damen vergiftet und ausgeraubt. Warum Swinka trotzdem erst mit 76 Jahren stirbt.

Die Kindheit der Mörderin

Von Anfang. Irmgard Swinka (Jg. 1912) wächst in ärmlichen Verhältnissen in Berlin auf. Der Vater ist ein prügelnder Alkoholiker. Irmgard ist eine schlechte Schülerin, lernt keinen Beruf. Den Kontakt zu den Geschwistern bricht sie ab.

Sie wird polizeibekannt. Immer wieder längere Gefängnisstrafen wegen Diebstahl, Betrug, Unterschlagung. Sie ist zweimal verheiratet. Bei der dritten Hochzeit ist ihr Verlobter noch verheiratet. Anzeige wegen Bigamie. Das Paar taucht unter.

Die Methode des Trios

Nachkriegsdeutschland damals: Leere Geschäfte, eine wertlose Reichsmark. Irmgard Swinka und ihr (Nicht-)Ehemann leben trotzdem gut. Auf dem Schwarzmarkt tauschen sie ihre Raubgüter gegen alles Lebensnotwendige, inklusive echten Bohnenkaffee. Zusammen mit einem Komplizen erbeuten sie Glühbirnen, Lebensmittelkarten, Wolle, Kleidung, manchmal auch Uhren und Schmuck.

Die Methode des Trios: Irmgard Swinka fährt mit dem Zug in eine größere Stadt und spricht alte, einsam erscheinende Damen an. Entweder im Zug, manchmal auf einer Parkbank oder in einer Gaststätte. “

Gerne bietet Swinka der ausgesuchten älteren Dame “Hilfe” gegen ihre Schwächeanfälle an. Wahlweise eine vermeintliche “Spezialmixtur” ihres erfundenes Apothekervaters, vermeintlich schwer erhältliche Medikamente vom Schwarzmarkt oder Ähnliches.

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Nachkriegs-Köln 1949 im Gürzenic: Männer mit Karnevalskappe räumen auf

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Gift von SS-Offizier

Tatsächlich verabreicht Swinka den wehrlosen Seniorinnen eine Mixtur aus Noctal-Schlaftabletten und Morphium-Tropfen. Die hat sie bei einem früheren SS-Offizier gekauft. Sobald die Opfer bewusstlos sind, packt Swinka alles zusammen, was Schwarzmarkt-tauglich ist. Ein Komplize steht derweil vor dem Haus Schmiere.

“Die Erfahrung hatte ihr gezeigt, daß ältere, alleinstehende Frauen, die in einfachen Verhältnissen lebten, ihr bei weitem das geringste Mißtrauen entgegenbrachten. Sobald diese Personen sich in ein Gespräch eingelassen hatten, versuchte die Angeklagte mit allen Mitteln ihrer außerordentlichen Vorstellungskunst deren Vertrauen zu gewinnen”, steht später in der Urteilsbegründung.

Mehr als 40 Rentnerinnen sollen Swinka und ihre Komplizen Wilhelm Schmikahle (30) und Ernst Himpel (43) so ausgeraubt haben. Das Trio ist in Städten wie Berlin, Hamburg, Essen, Frankfurt, außerdem Heidelberg, also in drei Alliierten-Zonen aktiv.

Wenn die Opfer überleben, dann oft mit gesundheitlichen Schäden. Fünf Frauen schaffen es nicht. Zuletzt trifft es im Juni 1948 die Kölner Strickerin Helene Schmitz (63) aus der Kalk-Mülheimer-Straße. Die Beute: eine Strickweste, ein paar Wollknäuel und Lebensmittelkarten.

Die Polizei schlägt zu

Frau Schmitz Totenschein ist schon mit Diagnose “Schlaganfall” ausgefüllt. Da erfährt ein Polizist zufällig, dass die Verstorbene kurz vor ihrem Tod “auffällig eleganten Besuch” gehabt haben soll. Der Ermittler schaut sich daraufhin die Leiche selbst an.

An den Füßen entdeckt er kleine Bläschen. Ein Hinweis auf eine Vergiftung. Die Personenbeschreibung der “auffällig eleganten Frau” deckt sich mit Täterin-Beschreibungen aus anderen Städten.

Nachdem Zeitungen ein Bild von Swinka veröffentlichen, wird Irmgard Swinke am 13. Juli 1948 in Hamm von einer Passantin erkannt. “Abgehetzt, bleich, hohlwangig, mit zittriggelben Nikotinfingern. Die streichelten dauernd ein Hündchen, das sie nicht von sich ließ”, schreibt der Spiegel damals über die Festnahme.

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Der Sensationsprozess

Der Prozess wird zur Sensation in Nachkriegsdeutschland. Die Medien überschlagen sich bei der geldgierigen Giftmörderin, die wehrlose ältere Damen tötet. “Ein unsympathisches, grobes Gesicht, verkniffene Augen, einen Zug um den Mund, der zur Vorsicht mahnt”, schreibt der Stern damals.

Swinka schmeckt es in U-Haft so gut, dass sie mehr als 20 Kilo zunimmt. Ihre Anwältin Elsbeth von Ameln sieht das als Zeichen für “ihre grenzenlose Skrupellosigkeit” und “ihre völlige Gefühlslosigkeit ihren Opfern gegenüber”. Von “Reue” oder “Gewissensbissen keine Spur”, schreibt sie später in ihrem Buch.

Der Strafprozess gegen Irmgard Swinka findet vor dem Schwurgericht in Köln statt. In Köln, weil der letzte Tatort hier war. 235 Zeugen und 40 Sachverständige sagen in dem Prozess aus. Die Anklageschrift ist 257 Seiten lang.

irmgard swinka
In der Haft isst Irmgard Swinka mit sehr viel Appetit

Wegen fünffaches Morden und zehn Mordversuchen ist Irmgard Swinka angeklagt. Es droht die damals in Deutschland noch verhängte Todesstrafe.

Der Gerichtssaal schafft die Publikumsmassen nicht. Schon vor dem Gerichtsgebäude regeln Polizisten den Andrang. In den Sitzungspausen steigen Zuschauer:innen mit Operngläsern auf Stühle, um das Gesichts des “Giftmonsters” studieren zu können.

Am 7. Mai 1949 wird Irmgard Swinka schuldig gesprochen des vierfachen Mordes, der Vergiftung mit Todesfolge und wegen versuchten Mordes in zehn Fällen. Das Urteil: viermal Todesstrafe, einmal lebenslänglich, , dazu 15 Jahre Haft – außerdem anschließende Sicherheitsverwahrung und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit.

“Die Angeklagte hat in allen Fällen heimtückisch gehandelt. Sie hat die Arglosigkeit und das Vertrauen der Opfer ausgenutzt, um sie zu der Einnahme der todbringenden Lösung zu veranlassen”, steht in der Urteilsbegründung.

Tod im Altenheim

Das Grundgesetz rettet Irmgard Swinka das Leben. Am 23. Mai 1949 tritt Artikel 102 in Kraft. Die Todesstrafe ist damit abgeschafft. Das gilt auch für bereits rechtskräftige Urteile.

Das Urteil gegen Irmgard Swinka wird in lebenslange Zuchthausstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung umgewandelt. 1987 wird sie nach 38 Jahren von NRW-Ministerpräsident Johannes Rau begnadigt und unter falschen Namen entlassen.

1988 stirbt Irmgard Swinka unter dem Namen Irmgard “Irmchen” Moser in einem Seniorenheim bei Aachen, Herzinfarkt mit 76 Jahren. Ihren echten Namen kannte nur die Heimleiterin.

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Quellen: Elsbeth von Ameln: Köln Appellhofplatz – Rückblick auf ein bewegtes Leben (Wienand Verlag, 1985)Norbert Klein, “Mörder, Stadtrat und FC – Kölner Gerichtsgeschichten um den Appelhof” (BoD, 2019); Stephan Harbort: Viktimologische Betrachtungen bei Serientötungen (Aufsatz), Der Spiegel 15/1949; Friedrich Küppersbusch & Oliver Becker: “Lebenslänglich Todesstrafe (Konkret Literaturverlag, 2000)

+++ zuerst veröffentlicht am 14.5.21

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