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TOTER SPIELPLATZ, STRASSENSTRICH & RATTEN – Heute: Endstation Kölnberg

Von STEPHANIE KAYSER

Köln – Momentaufnahme Köln. 86 Viertel, eine Million Menschen. Von ganz arm bis ganz reich, von ganz neu bis ganz historisch. Unsere Reihe “Köln, Deine Veedel”. Heute: der Kölnberg in Meschenich.

Das Kölner Viertel, das nie eine Chance hatte. Seit Jahrzehnten ist der Kölnberg das Sorgenkind der Stadt. Im Prinzip seit Fertigstellung. Das Hochhaus-Ghetto liegt am Rand der Stadt. Aus den Augen, aus dem Sinn – aber die Lage bleibt unverändert trostlos…

Das Wetter trostlos, Grau in Grau. Vor Ort in Kölnberg. Um die 4.100 Menschen leben in Kölns Trabantenstadt im tiefsten Süden. Neun Hochhäuser, 1.318 Wohnungen, mehr als 80 Nationen. Jeder vierte Mensch hier ist langzeitarbeitslos. Wie viele Menschen hier genau leben, weiß niemand. Zum Abtauchen ist der Kölnberg definitiv ideal. Für alles andere eher nicht.

Der eh schon deprimierende Spielplatz zwischen den Hochhäusern, der den Namen nie verdient hatet, ist momentan ganz am Ende. Aktuell gibt es noch zwei Schaukeln. Hunderte Kinder leben in dem Ghetto. Aber draußen sieht man nur Ratten und Tauben. Überall huscht es.

Straßenstrich und Drogenszene

Am Monatsende, wenn das Geld nicht nur knapp, sondern einfach weg ist, ist der illegale Strich an der Ecke ein Ausweg. Vorbildlich mit Maske steht eine ältere Frau in Overknees an der Straße. Eine Kollegin kommt im Kleinwagen mit einem Bergheimer Kunden zurück. Ein nächster Freier ist nicht in Sicht. Das Geschäft ist zäh.

Jemand wie Andrea (47, Name geändert) ist auch für Kölnberger Verhältnisse ganz unten. Sie ist schwer drogenkrank. Weil man ihr das extrem ansieht, kann sie mit ihren Freiern nicht wählerisch sein. Ihr Revier ist die Längsseite am Parkhaus auf dem Kölnberg. Ihr Veedel hat sie schon “seit ewig” nicht mehr verlassen. Ihren Stoff bekommt sie vor Ort.

Spezial-Service für Junkies

Konsumenten-Wohnung sind ein Spezial-Angebot der Dealer:innen auf dem Kölnberg. Weil die Wohnungen ein Miet-Schnäppchen sind (um die 300 Euro warm), werden die über Strohleute als “Service” angemietet. In diesen Wohnungen können Drogenkranke den Stoff nicht nur kaufen, sondern auch konsumieren.

2014 kommt es zu einem Tiefpunkt auf dem Kölnberg. Eine halb verweste Leiche (ein Drogenkranker mit Überdosis) wird vom Balkon einer Konsumenten-Wohnung geschmissen. Die anderen Konsument*innen hatten den Toten erst im Balkon-Schrank verstaut, dann war der Gestand nicht mehr auszuhalten. Die Leiche landet vor den Fenster des örtlichen Kindergartens. Großer gemeinschaftlicher Aufschrei. Einzige Konsequenz am Ende: Die Kita zieht aus.

Peter (28, Name geändert) ist noch relativ neu auf dem Kölnberg. Er fühlt sich unwohl. “Erst Job weg, dann hat mich meine Freundin rausgeschmissen, auf einmal obdachlos, gepennt bei Freunden und dann nur hier ‘ne Wohnung bekommen. Ich will so schnell wie möglich weg”, sagt er leise.

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Der Kölnberg saugt dich auf

In der ersten Woche klopfte der Nachbar von gegenüber bei ihm. Gegen Bezahlung will der bei ihm Stoff deponieren. Risiko-Streuung. “Ich will in sowas auf keinen Fall reingezogen werden. Der kommt aber immer weiter und fragt”, sagt Peter.

Immer wieder Verständigungsprobleme vor Ort. Entweder, weil die Menschen kein Deutsch können oder sich aufgrund von Alk oder Drogen kaum verständlich artikulieren können. Die Fluktuation ist hoch. Nachbarschaftlicher Zusammenhalt die Ausnahme.

Studien haben gezeigt, dass man sich seiner Umgebung immer mehr anpasst, um so länger man dort lebt. Stört einen der Müll am Anfang noch, nimmt man ihn nach drei Monaten nicht mehr wahr. Der Kölnberg saugt einen auf.

Die totale Fehlplanung

Von Anfang an hat der Kölnberg im Prinzip keine Chance. Mit der Eingemeindung 1975 bekommt das bis dahin dörfliche Meschenich die “Großraumsiedlung Auf dem Kölnberg” vor die Nase gesetzt.

Ursprünglich war der Kölnberg als hochwertige Wohnlandschaft im Grünen geplant, als attraktive Investitionsanlage mit eigenem Schwimmbad. Ein Öl-Konzern überlegte zu der Zeit in der Nähe 1.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Wohnraum musste her: Am Ende kommen die Arbeitsplätze nicht, die Hochhäuser sind aber da. Der Anfang vom Ende.

Der rasante Preisverfall

Das Interesse an den neuen Hochhaus-Wohnungen am hintersten Rand von Köln ist damals gering. Dazu die unterirdische Verkehrsanbindung. Die vermeintlich attraktiven Investitionsobjekte stehen leer, die Preise sinken. “Hätten wir das gewusst. Man hängt sich doch nicht freiwillig solche Probleme ans Bein”, sagt der Architekt zehn Jahre später.

Heute kann man für etwa 8.000 Euro eine Wohnung kaufen. Miet-Einname etwa 120 Euro im Monat bei 180 Euro Nebenkosten. Wieviel die Eigentümer*innen bei der Gewinnmarge investieren, kann man sich vorstellen. Der Großteil der Wohnungen ist im Besitz von Groß-Investoren. Nicht eine gehört der Stadt Köln.

Eine Busfahrt in die Kölner Innenstadt dauert vom Kölnberg aus eine knappe Stunde. Nachts fährt der letzte Bus um 0.20 Uhr. Vor Ort gibt es kaum Jobs. Wer außerhalb des Kölnbergs arbeitet oder eine Ausbildung macht, braucht entweder ein Auto oder muss seine Schichten genau takten.

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Achtung, Kontrolle

Bei jeder Adress-Kontrolle macht der Kölnberg Probleme: Lautet die Anschrift “An der Fuhr”, “Am Rondorfer Pfad” oder “Alte Brühler Straße”, dauert es mit Handy-Verträgen, Online-Bestellungen ohne Vorkasse, Job-Bewerbungen oder Polizeikontrollen auf jeden Fall länger. Der Kölnberg hat einen Ruf, auch außerhalb der Stadt.

Zwischenzeitlich wird der Kölnberg mal als “Arrival City” definiert, als Durchgangsstation für Neuankömmlinge in der Stadt. Die Idee: Nach einer ersten Orientierung am Rhein, sollen sich die Menschen nach oben arbeiten. Dabei dürfen sie allerdings nicht auf öffentliche Verkehrsmittel hoffen…

Das soll sich ändern…

Die Trostlosigkeit soll nicht bleiben. 21 Millionen Euro investiert die Stadt im Rahmen des Programms “Starke Veedel – Starkes Köln” in den “Sozialraum Meschenich Roggendorf” (Auszug):

  • 8,5 Millionen für eine Radschnellverbindung in den Kölner Süden
  • 4 Million in die “Neugestaltung des öffentlichen Raumes am Meschenich”
  • 63.000 Euro für die Machbarkeitsstudie des Radschnellwegs kalkuliert
  • knapp 27.000 Euro für Berufsorientierung der Schüler:innen vom Kölnberg

Ein kurzer Moment zum Nachdenken.

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Einmal reich, bitte

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Und SO leben die Sozial Starken im Hahnwald…

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zuerst veröffentlicht am 21. Mai 2021

Quellen: eigene Recherche vor Ort, Zeitungsarchiv

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