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WENN DAS LEBEN GRAUSAM IST – Ein Schicksal vom Kölner Hauptbahnhof

Carlos vom Hauptbahnhof hat uns erlaubt, seine Geschichte zu erzählen. Zu seinem Schutz machen wir sein Gesicht unkenntlich.

Von STEPHANIE KAYSER

Köln – Der Mann sieht tot aus. Leblos hängt er in seinem Rollstuhl vor dem Kölner Hauptbahnhof. Schmutzige Klamotten, das rechte Bein verdreht, der Kopf nach unten. Es stinkt nach Exkrementen. Als ich die blau angelaufenen Hände sehe, spreche ich den Mann an.

Auf mein drittes “Hallo?” kommt ein leises “Hallo?” aus dem Haar-Gewuschel. Der Mann bewegt sich nicht. “Brauchen Sie Hilfe?” Der Mann hebt den Kopf, große Augen in einem ausgehungerten Gesicht: “Jaaaa, ich brauche HILFE. Ich hab seit fünf Tagen nicht gegessen.” Der Mann beugt sich zur Seite, spuckt weißen Schaum. “Das andere ist Blut”, sagt er und zeigt auf einen Haufen neben dem Rollstuhl. Ich rufe die 112.

Notruf bei der Feuerwehr

“Fragen Sie, ob er Schmerzen hat”, fragt der Feuerwehrmann aus dem Notruf. “Große Schmerzen, ich brauche Hilfe, mein Magen”, sagt der Obdachlose. “Können Sie bei ihm bleiben, die Kollegen sind ein paar Minuten da. Und wenn es schlimmer wird, rufen Sie sofort an,” mahnt der Mann aus der Notruf-Hotline.

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Wenn das Leben grausam ist

In den kommenden Minuten lerne ich Carlos (62) vom Kölner Hauptbahnhof kennen. Das Leben kann grausam sein.

Mangels Hilfe nässt und kotet Rollstuhlfahrer Carlos sich ein. Es riecht und er schämt sich dafür. “Ich bin inkontinent. Und meine Anziehsachen sind alle dreckig”, entschuldigt er sich direkt am Anfang unseres Gesprächs. Wir warten zusammen auf den Krankenwagen.

Das verdrehte Bein tut ihm weh, sagt er. Vermutlich hat er sich das gebrochen. Er zeigt auf seine stinkenden Klamotten und weint: “Ich brauche Hilfe und ich habe so Hunger.” Diesen Satz wiederholt er drei-, viermal.

carlos mit rettungssanitätern
Die Retter sind schnell da: Carlos bekommt Hilfe

Als Tochter und Frau im Urlaub starben

“Niemand hilft mir”, sagt Carlos. Ohne dass ich Fragen stelle, erzählt mir Carlos zusammenhangslos Bruchstücke aus seinem Leben. Zwischendurch spricht er abwesend und benommen, wiederholt sich, dann wieder völlig klar. Eine Lebensbeichte.

“Ich bin Alkoholiker. Ich bin drogenabhängig. Ich bin im Methadon-Programm, aber ich hab seit fünf Tagen nichts genommen”, fängt er an. Dann schweift sein Blick ab: “Meine Tochter ist bei einem Autounfall gestorben in Südfrankreich. Da war sie 16. Und meine Frau ist da auch gestorben.” Er schüttelt den Kopf, weint: “Da war es vorbei. Ich lebe auf der Straße.” Eine Pause.

“Ich war im Heim in Refrath. Niemand hilft mir. Ich bin da weg. Ich hatte Angst. Große Angst vor dem Tod. Ich hab’ Angst vor dem Tod.” Er schüttelt sich und verzieht das Gesicht.

Dass er auch seit fünf Tagen nichts gegessen hat, wiederholt er immer wieder. Und auch dass ihm niemand hilft. Dann kommt der Krankenwagen mit den Rettungssanitätern.

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