Jürgen Milski im Jahr 2000 und 25 Jahre später Fotomontage: IMAGO/nicepix.world
Von STEPHANIE KAYSER
Köln – Sittenwächter und Politiker schlagen Alarm, als vor 25 Jahren ein neues TV-Format präsentiert wird. Der Titel: „Big Brother”. Eine Art TV-Knast, in dem zehn Bewohner rund um die Uhr von Kameras überwacht werden und Fernsehdeutschland schaut dabei zu. Publikumsliebling der ersten Stunde ist ein Kölner Feinblechner von Ford: Typ rheinischer Sunnyboy, 36 Jahre, Familienvater. Es war die Stunde von Jürgen Milski.
Was passierte damals wirklich bei der Fernsehsendung, die sein Leben komplett auf den Kopf stellte – und bei der er eigentlich gar nicht mitmachen wollte: Jürgen Milski im großen Jubiläums-Interview. Für den Kölner war die Zeit nach dem „Big Brother”-Auszug die schlimmste seines Lebens: „Mein kleines glückliches Leben, das ich vorher hatte, das gab es auf einmal nicht mehr.“ Warum er sich am Ende doch fürs Showgeschäft entschied, wie viel Lehrgeld er bezahlt hat und was er von aktuellen Reality-Formaten denkt. Der Kölner spricht Klartext:

Von Anfang an: Wieso haben Sie sich damals bei „Big Brother beworben?
Jürgen Milski: „Auf der Arbeit lag auf der Toilette die Bild-Zeitung, und da gab es einen Bericht über eine neue Sendung, wo man zehn Leute 100 Tage einschließt und beobachten lässt. Ich hab mir nur gedacht: ‚Was ist das für ein kranker Schwachsinn?’ Ich wollte mir eigentlich nur das Casting angucken – was für Kriterien muss man da erfüllen, wer macht bei sowas mit? In meinem Bewerbungsbrief stand nur ein Satz – sowas wie ‚Hallo, ich bin Jürgen, 36 Jahre alt und aus Köln, und möchte mich bei euch bewerben‘– und dazu gab es ein ziemlich hässliches Foto von mir.“
Wie ging es dann weiter?
Jürgen Milski: „Ich bin zum Casting in ein großes Kölner Hotel eingeladen worden. Als ich da reinkam, war die Atmosphäre extrem angespannt. Die Leute wollte alle unbedingt mitmachen. Ich war die ganze Zeit der lockerste – ich wollte mir ja eigentlich alles nur mal angucken. Ich fand das total spannend – aber ich bin weiter und weiter gekommen. Und dann irgendwann nach Runde sieben haben sie gesagt: ‚Du bist dabei!‘ Aber ich wollte ja gar nicht. (lacht) Ich hatte ja einen festen Arbeitsplatz, den ich nicht riskieren wollte. Aber dann wurde ich bequatscht und bequatscht.“ (lacht)
Ich hatte damals zwei Wochen Urlaub bei Ford eingereicht: Ich hatte eigentlich geplant, eine Woche im Container zu leben und dann noch eine Woche Urlaub zuhause mit meiner Familie zu machen.“ (lacht)
Es kommt selten so, wie man denkt…
Jürgen Milski: „Ich hatte damals meinem Bruder Peter für den Notfall die Nummer von Rainer Laux (Anm. Chef der Produktionsfirma Endemol) gegeben – falls es doch länger dauert. Wir haben damals beide bei Ford gearbeitet, er sollte mit meinem Meister sprechen und mich sofort rausholen lassen, wenn es Probleme gibt. Ich wusste also, so lange ich nichts höre, ist draußen alles in Ordnung. Big Brother war für mich wie Urlaub. Wir hatten einen 100 Quadratmeter Container und einen Riesengarten. Zuhause habe ich mit meiner Freundin und Tochter in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung gelebt.“
Wie haben Sie die Zeit bei Big Brother erlebt?
Jürgen Milski: „Ich fand das eigentlich total unspektakulär. Wir haben gedacht, dass die Sendung irgendwann abgesetzt wird, weil wir da einfach nur gewohnt haben. Ich hatte mir vorm Auszug, der an einem Freitag stattfand, noch überlegt, dass ich ja dann am Montag wieder arbeiten gehen kann. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass Menschen ohne was geleistet zu haben, auf einmal gefeiert werden.“
Als Sie aus dem Container auszogen, jubelten ihnen tausende Menschen zu. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Jürgen Milski: „Die Geräuschkulisse hatte man ja auch im Haus schon gehört. Ich dachte aber, das ist eine regionale Geschichte – die Kölner feiern halt gerne. Aber dann sagte mir der Produzent: ‚Pass auf Jürgen, du gehörst jetzt zu den bekanntesten Menschen in Deutschland.‘“
Wie gut sind Sie damals mit dem extremen Hype klar gekommen?
Jürgen Milski: „Das hat mir alles Angst gemacht! Ich wollte am Tag nach meinem Auszug morgens zum Bäcker Brötchen holen. Meine Freundin meinte noch, dass das keine gute Idee sei. Ich dachte, sie übertreibt – aber ich bin dann nur bis zur Bushaltestelle gekommen und wurde dann umkreist. Da habe ich Angst vor Menschen bekommen. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich wollte nie berühmt werden, ich hab immer nur davon geträumt, ein Häuschen für meine Familie zu kaufen. Ich konnte nicht mehr normal einkaufen gehen, nicht mehr mit meiner Tochter auf den Spielplatz. Ich hatte vorher ein kleines zufriedenes Leben, aber das habe ich mit meiner Big-Brother-Teilnahme komplett zerstört.“
Was war das einschneidendste Erlebnis?
Jürgen Milski: „Ich war mit meiner Tochter im Freibad in Frechen. Ich hatte gerade unsere Picknickdecke ausgebreitet, da stand gefühlt das ganze Schwimmbad um uns rum und hat uns angeguckt. Dann ist der Bademeister gekommen mit vier Stangen und Flatterband und hat unsere Picknickdecke abgesperrt. Wir sind dann kurz ins Wasser, gefolgt von einer Polonaise von Menschen und dann wieder nach Hause. Heute kann ich darüber lachen, aber damals war das schlimm. Der Menschenzoo und das Einsperren kam tatsächlich erst nach Big Brother. Ich hab damals ein Buch über diese Zeit geschrieben. Das hat mir geholfen, das alles zu verarbeiten. Ich hab mich deshalb auch erstmal total rausgehalten aus der Öffentlichkeit.“
Warum wollten Sie mit dem Showbusiness nichts zu tun haben?
Jürgen Milski: „Ich wollte nie berühmt werden. Ich dachte, dass ich im besten Fall Geld für ein eigenes Haus gewinne. Nach dem Auszug gab es einen Termin bei Endemol – da saßen alle Big Bosse an einem Tisch, Plattenfirma, Werbeproduzenten, Musikmacher. Da lagen Verträge im Wert von einer Million auf dem Tisch. Aber ich hab damals gesagt, dass ich mir nur wünsche, dass die Menschen mich wieder schnell vergessen und dass ich morgen wieder arbeiten gehe. Aus finanziellen Gesichtspunkten eine schlechte Entscheidung, aber für mein Seelenleben war es das Beste.“
Jürgen Milski mit seinem kleinen Bruder Peter
Wann haben Sie Ihre Meinung geändert?
Jürgen Milski: „Ich habe erstmal mit meinem normalen Alltag weitergemacht, war wieder der Jürgen bei Ford, konnte alles sacken lassen. In der Meisterbude klingelte immer mal wieder das Telefon und Angebote kamen rein – Angebote für Fernsehsendungen, auch mal 50.000 Mark für ein Fotoshootings. Ich hab damals 3.000 Mark brutto im Monat verdient. Irgendwann hab ich mir dann gesagt, dass es doof wäre, nicht etwas mitzunehmen. Ich dachte, dass mit der nächsten Staffel Big Brother alles eh vorbei ist.“
Dann haben sie sich mit dem Lied „Großer Bruder“ mit Ihrem Container-Kumpel Zlatko bei Ihren Fans zurückgemeldet. Das Lied war acht Wochen auf Platz 1 der Charts und holte Platin. Mit der legendären Bromance war es allerdings irgendwann vorbei. Warum?
Jürgen Milski: „Ich hatte das große Glück, dass ich schon mitten im Leben stand, als ich bei Big Brother war. Ich war schon 36, hatte eine Familie, eine feste Arbeit. Zlatko war damals sehr, sehr jung und anfällig für den Hype. Ich bin immer zu jedem nett und höflich, so sind wir erzogen worden, aber Zlatko wurde irgendwann sehr herablassend zu den Leuten. Er hat wirklich geglaubt, dass er jetzt ein Star ist. Ich hab mich und die ganze Sache immer realistisch gesehen. Da hab ich irgendwann gemerkt, dass ich mein eigenes Ding machen muss.“
Man hört immer von den „Schattenseiten des Ruhm“. Wie viel Lehrgeld mussten Sie bezahlen?
Jürgen Milski: „Ich hab zum Glück nur einmal richtig Lehrgeld bezahlt – aber das war mir eine Lehre. Ich hatte damals einen Manager, der richtig gut reden konnte und mich total überzeugt hatte. Und dann bekam ich einen Anruf vom Finanzamt, ‚warum ich denn die Werbedeals in meiner Steuererklärung nicht angegeben habe?‘. Und dann haben sie mir Verträge gezeigt – mit gefälschten Unterschriften von mir. Danach hatte ich nie mehr einen Manager. Ich hab mich um alles selbst gekümmert, mir die Kontakte aufgebaut zu Plattenfirmen, Musikproduzenten, Produktionsfirmen.

Der Erfolg gibt Ihnen Recht. Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen der Branche haben sie keine finanziellen Sorgen. Für was geben Sie Ihr Geld aus?
Jürgen Milski: „Böse Zungen behaupten immer, ich sei geizig, aber ich bin einfach nicht so der materielle Typ. Ich hatte nur immer das Ziel, meiner Familie ein Haus zu kaufen. Das habe ich geschafft. Das zweite Ziel war es dann, meiner Tochter eine sehr gute Ausbildung zu finanzieren, auch das habe ich geschafft. Das dritte Ziel war, auch ein Haus für meine Tochter zu bauen. Das habe ich auch geschafft. Und das vierte Ziel war, finanziell unabhängig zu werden. Auch das hat geklappt. Ich bin sehr dankbar für mein privilegiertes Leben – ich habe mein Haus in Köln, ein schöne Penthouse-Wohnung in Salzburg. Aber ich habe auch sehr hart dafür gearbeitet: ‚Du hast jetzt die Chance, also klopp rein, vielleicht sieht das in zwei Jahren anders aus.‘ Ich war das so gewohnt, ich hab früher auch bei Ford jede Überstunde mitgenommen, 10 Stunden jeden Tag in der Woche und 6 Stunden am Samstag.“
Früher waren Sie wochenlang nicht zuhause. Wie sah Ihr Alltag aus?
Jürgen Milski: „Ich hab damals in München bis zu drei Sendungen am Tag moderiert, bin nach der letzten Moderation zum Flughafen, dann nach Mallorca, nachts um halb drei im Oberbayern aufgetreten und dann wieder mit dem ersten Flieger zurück nach München und die erste Sendung moderiert. Ich bin auch einmal live auf Sendung zusammengeklappt, ich konnte da einfach nicht mehr.“
Vor einigen Jahren haben Sie Ihre Auftrittsanzahl drastisch reduziert.
Jürgen Milski: „Der Schalter hat sich bei mir umgelegt, als mein Vater 2007 an Krebs starb. Er hatte noch so viel vor sich, er war jemand, der viele Pläne hatte, aber immer gesagt hat, ‚später mal, später mal‘. Dabei muss man das Leben jeden Moment genießen, sonst ist es irgendwann zu spät.“
Sie waren im Prinzip in jeder großen deutschen Unterhaltungsshow – Let’s Dance, Schlag den Star, Dschungelcamp, Promi Big Brother und, und, und. Da bleibt ja eigentlich nichts mehr?
Jürgen Milski: „Einen großen Traum habe ich noch: Mein Ziel ist es, unbedingt mal bei ‚Wer wird Millionär?‘ mitzumachen. Und ansonsten mache ich ja schon seit längerem vor allem Formate und Shows, die gar nicht so viel mit Reality zu tun haben.“
Als Sie bei Big Brother waren, war „Sendezeit“ noch kein Thema. Aber viele junge Menschen haben heute den Traum, durchs Reality-Fernsehen berühmt zu werden.
Jürgen Milski: „Von den aktuellen Reality Stars gehören 80 Prozent nicht vor die Kamera, sondern zum Psychologen auf die Couch. Das meine ich ernst. Viele, die an den Asi-Reality-Formaten teilnehmen, sind total kaputt. Dieses ‚ich möchte um jeden Preis zum Gespräch werden, egal wie‘ finde ich peinlich. Ich möchte nichts mit diesen Leuten zu tun haben. Ich habe das Gefühl, dass man heute nur noch drei Kriterien erfüllen muss, um für ein Reality-Format genommen zu werden: 1. einen IQ von 20 haben, 2. stock-asozial sein und 3. gerne Sex vor der Kamera praktizieren.